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Wir oder sie?

Der Hype um Künstliche Intelligenz und was er mit der Wirklichkeit zu tun hat.

(Dieser Artikel ist  in der investigativen Zeitung "Die Krähe" veröffentlicht.)

Garri Kasparov, der beste Schachspieler der Welt, verlor 1996 gegen die IBM-Computer-Software „Deep Blue“. Dieses Ereignis kann man als einen „Doomsday“, einen Schicksalstag, im Kampf Mensch gegen Maschine betrachten. Der ultimative Beweis dafür, dass sie uns bald ablösen werden, galt als erbracht. Es war auch die Zeit der Filmreihe „Terminator“, bei der es ebenfalls um diesen apokalyptischen Kampf ging und der noch viele Hollywood-Streifen mit diesem Topos folgten. Doch schwarz und weiß sind eben nur Filme. Kaum jemand weiß, dass „Deep Blue“ seinen Sieg über Kasparov allein einer menschlichen Schwäche verdankte, wie die junge britische Mathematikerin Hannah Fry in ihrem Buch „Hello World“ berichtet. Die Programmierer von „Deep Blue“ trafen die „brillante Entscheidung, Deep Blue unsicherer wirken zu lassen, als er war. Bei den sechs Spielen des berühmten Duells zögerte der Computer immer wieder, nachdem er seine Berechnungen beendet hatte, bevor er seinen nächsten Zug anzeigte – manchmal mehrere Minuten lang. Für Kasparov sah es so aus, als habe die Maschine Probleme und rattere immer mehr Berechnungen durch.“ Kasparov ließ sich von der scheinbaren Schwäche der Maschine ablenken und dadurch machte er fatale Fehler, die am Ende zu seiner Niederlage führten. Hannah Fry zitiert Kasparov, der 2017 über das Match schrieb: „Ich machte mir so viele Gedanken darüber, wozu der Computer wohl fähig sein konnte, dass ich gar nicht bemerkte, dass meine Probleme eher daher rührten, dass ich schlecht spielte, als daher, dass er gut spielte.“

 

Technologische Entwicklungen sind nicht per se gut oder schlecht. Es kommt immer darauf an, wem sie nützen. Was man aber sagen kann, ist, dass die öffentliche Debatte rund um Künstliche Intelligenz (KI) spekulativ und in ihrer Darstellung sehr verzerrend ist. 

Dabei gibt es häufig drei Perspektiven, welche seit Jahren kursieren:

• Das Ersetztwerden des Menschen durch die Maschine und den damit einhergehenden massiven Verlust von Arbeitsplätzen. Manche Pessimisten rechnen sogar mit bis zu einer Milliarde Arbeitslose durch die KI.

• Das Ende der gesamten Arbeitsgesellschaft, wenn die Automatisierung auch noch andere Tätigkeitsfelder einschließt wie zum Beispiel das Handwerk.

• Die Versklavung und/oder Auslöschung der Menschheit durch die Künstliche Intelligenz, wenn die Entwicklung dieser Systeme den Menschen in seinen Fähigkeiten und seiner Intelligenz übertrumpft. 

 

Diesen schwarzmalerischen Perspektiven entgegengesetzt sind die Thesen von einflussreichen Wirtschafts- und Unternehmensberatern wie zum Beispiel McKinsey oder PricewaterhouseCoopers (PwC). Wie nicht anders zu erwarten, sehen sie die Wirkung und Verwendung von KI als für die Wirtschaft sehr vorteilhaft. Das kommt in sehr spekulativen Zahlen zum Ausdruck.

 

So prognostiziert PwC die Weltwirtschaft mit einem Plus von 15,7 Billionen Dollar bis 2030, was zu einem Plus von 14 % des BIP führen werde. Bis 2030 soll die Hälfte aller wirtschaftlichen Gewinne mit Hilfe von und durch KI generiert werden. Keine Branche werde künftig ohne KI auskommen, ohne massive wirtschaftliche Verluste zu haben, so resümieren die Wirtschaftsberater. (»1)

 

KI mit langer Geschichte

Als wissenschaftliches Konzept kam KI 1965 in Hanover, New Hampshire bei der Dartmouth Conference auf. Die damalige Vision war es, jegliche Form von Intelligenz so zu beschreiben, dass sie von einer Maschine simuliert werden könnte. Seit damals wird daran geforscht und gearbeitet, mit vielen Rückschlägen und sehr marginalen Erfolgen wie Industrierobotern und Systemen, die manuelle Programmierung erforderten. Erst zur Jahrtausendwende kam es zu signifikanten Fortschritten, die vor allem mit der Leistungsfähigkeit von Computern (Mooresches Gesetz – alle zwei Jahre werden die Chipsätze doppelt so schnell und immer kleiner und preiswerter) und der Verfügbarkeit von Unmengen an Daten durch die Digitalisierung zustande kamen. Der Grundstein „Deep Learning“ (maschinelles Lernen) für heutige KI-Konzepte wurde im Jahre 2006 vom britischen Informatiker Geoffrey Hinton gelegt. Der Informatiker und Kognitionspsychologe arbeitete an der Entwicklung von neuronalen Systemen, welche seiner Ansicht nach für die Entwicklung intelligenter Systeme notwendig sind. Seine Arbeiten waren elementar für KI-Systeme. Seitdem schreitet deren Entwicklung in exponentieller Geschwindigkeit voran.

 

Künstliche Intelligenz: ein fragwürdiger Begriff

Es gibt keine eindeutige Definition für KI. Vielmehr wird der Begriff von unterschiedlichen Autor*innen und Forscher*innen für unterschiedliche Technologien verwendet. Wenn man Künstliche Intelligenz oder Artificial Intelligence als Konzept versteht, kann man es so beschreiben: Ein Konzept der Informatik, das Maschinen befähigen soll, Aufgaben in einer intelligenten Art und Weise auszuführen, wobei nicht definiert ist, was intelligent hier bedeutet.

 

Zwischen dem Begriff „KI“ und seiner Definition wird meist nicht unterschieden, was für das Verständnis jedoch wichtig wäre. Auf der einen Seite gibt es den Begriff der „starken KI“. Sie soll selbstständig wahrnehmen, konzeptualisieren, Probleme erkennen, Lösungen entwickeln, lernen, agieren, Erfahrungen und Erkenntnisse speichern und diese schließlich wieder abrufbar machen. Die Leistungsfähigkeit dieser Maschinen komme jener des Menschen gleich bzw. würde sie sogar übertrumpfen. Die Entwicklung solch einer starken KI ist noch in weiter Ferne. Die Frage ist, ob dieses Szenario überhaupt realistisch ist. Auf der anderen Seite gibt es die „schwache KI“, welche auch als „methodische KI“ bezeichnet wird. Das ist die Künstliche Intelligenz, die heute in allen möglichen Lebensbereichen verwendet wird und dort Abläufe vermeintlich vereinfacht. Sie kann Muster erkennen, große Datenmengen durchsuchen und eignet sich für Automatisierung, Kontrolle von Prozessen, Spracherkennung, Bilderkennung, Navigation usw. Schwache KI bietet konkrete Lösungen für bestimmte Probleme, die auf Methoden der Mathematik und Informatik basieren und zunehmend in der Lage sind, sich selbst zu optimieren. Dabei werden Aspekte menschlicher Intelligenz immer nur imitiert und formal nachgebildet.

Anhand von ChatGPT, der bekanntesten KI, kann man sehen, dass deren Funktionsweise wenig mit Intelligenz zu tun hat. Diese KI arbeitet mit einem sogenannten Large Language Model (LLM), bei dem sehr große Textmengen eingelesen werden, woraus die Maschine schließlich die Struktur erlernt. In einem weiteren Schritt findet eine Justierung durch prekäre Arbeiter*innen statt, die diese Inhalte und Bilder nach Kriterien wie Ethik, Hate Speech, Rassimus, Sexismus usw. filtern. So arbeitet ChatGPT mithilfe einer Wortfolgenstatistik, mit der die Häufigkeit der Abfolge von Wörtern errechnet und eine Antwort generiert wird, die häufig faktisch falsch ausfällt. ChatGPT hat kein eigenes Wissen und keinerlei Verständnis von und für Sprache.

 

Arbeitspolitischer Supergau?

Die meisten Prognosen und die meisten Debatten zum Thema KI kreisen um Fragen der Ökonomie und Arbeitsmarktpolitik. Die viel zitierten Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael Osborne befeuerten die Hysterie rund um Massenarbeitslosigkeit mit einer Studie aus dem Jahr 2003. (»2) In dieser Studie wird von prognostizierten Jobverlusten von 47 % für die USA gesprochen und in der Übertragung von Prof. Dr. Holger Bonin von 42 % Jobverlusten für Deutschland. (»3) Diese Studie fand weite Verbreitung, obwohl sie einige Schwächen enthielt und mit falschen Annahmen arbeitete. 

Faktisch und empirisch entwickelt sich das Thema KI auf dem Arbeitsmarkt schrittweise und nicht wie ein plötzlich auftretender Supergau. Das zeigen aktuelle Studien aus Österreich und auch Deutschland. Hierzulande verwenden im Jahre 2023 gerade mal 11 % der Unternehmen KI – und zwar zur Unterstützung von Arbeitskräften und nicht als Ersatz für sie. (»4) Dabei zeigt sich, dass eher große Unternehmen KI-Technologien nutzen. 9 % der kleinen Unternehmen (10 bis 49 Beschäftigte), 17 % der mittelgroßen Unternehmen (50 bis 249 Beschäftigte) und 35 % der großen Unternehmen (ab 250 Beschäftigte) setzen intelligente Technologien ein. Mehr als die Hälfte dieser Unternehmen nutzen die Künstliche Intelligenz vorwiegend für Texterkennung und -verarbeitung und 42 % verwenden sie zur Datenanalyse. In einer deutschen Studie sehen die befragten Unternehmen vor allen Dingen in ausführenden, einfachen und analytischen Tätigkeiten Potenzial zur Verwendung von KI. Kreative, empathische und intuitive Tätigkeiten seien in den nächsten Jahren weniger von KI betroffen.


 

Einen negativen Einfluss auf die Arbeitswelt hat die KI allerdings schon, nämlich die oben erwähnten prekären Arbeiter*innen. OpenAI, der Techkonzern von ChatGPT, beauftragte 2021 Sama, ein kalifornisches Unternehmen, mit der Inhaltsmoderation von Fotos, Videos und Texten. Tausende Angestellte von Sama aus Kenia, Uganda und Indien mussten teils schwer traumatisierende Darstellungen und Beschreibungen von Morden, Vergewaltigungen und anderen Verbrechen durchsehen und lesen. (»5) Dabei verdienten diese Angestellten einen Stundenlohn von 1,32 bis 2 USD. OpenAI hingegen zahlte eine Feststundensatz von 12,50 USD, also rund das Neunfache, um die Gesamtkosten zu decken, wie Samas Pressesprecher beteuerte. Nach schwerer Traumatisierung und unzureichender psychologischer Betreuung der Angestellten hat dieses Unternehmen in der Zwischenzeit den Vertrag mit OpenAI gekündigt und sich von der Inhaltsmoderation verabschiedet. Andere KI-Konzerne wie Google oder Mircosoft arbeiten mit ähnlichen Geschäftspraktiken, um ihre KI-Systeme mit unschädlichen Inhalten zu füttern.

 

Fazit

Wir werden zwar vorerst nicht von einer künstlichen Superintelligenz ausgerottet und auch hunderte Millionen Arbeitslose durch KI wird es nicht geben. Doch die Ausweitung der digitalen Sweatshops ist sicher. Denn ohne Billigarbeiter aus der dritten Welt sind die rechtlichen Anforderungen an KI und Co. nicht zu bewältigen. Dass Big Tech hier in angemessene psychologische Unterstützung investieren wird, kann man getrost bezweifeln.

Darüber hinaus zeigt die öffentliche Debatte zu diesem Thema eindeutig, wer hier welche Interessen hat. Die großen Tech-Unternehmen Alphabet, Apple, Amazon, Meta, Microsoft, NVidia und Tesla haben in den letzten Jahren unzählige Milliarden in die Entwicklung von KI-Systemen investiert und das muss sich rechnen. Das funktioniert am effektivsten in der Mystifizierung der Fähigkeiten von sogenannter KI und auch in der Verbreitung von Fake News rund um das Thema. Schließlich ist eine Gesellschaft in Angst vor einer ungewissen Zukunft leichter zu kontrollieren. Denken Sie an Kasparov und die Ingenieure von „Deep Blue“, wenn Sie die nächste Sensationsmeldung zum Thema KI hören oder halten Sie es wie der österreichische Schriftsteller Peter Handke, der in einem Interview mit dem Magazin News vor einigen Wochen auf die Frage nach seiner Ansicht zu Künstlicher Intelligenz meinte: „Die hat gar nichts mit Intelligenz zu tun. Intelligenz ist etwas Schönes, Intelligenz ist Zögern, Forschen, Suchen, Ausweichen. Aber etwas Dümmeres als die Künstliche Intelligenz hat es nie gegeben.“ 

 

Quellen:

(1) https://tinyurl.com/2rf66s99

(2) https://tinyurl.com/ycxmcz4m

(3) https://tinyurl.com/3b9nte9e

(4) https://tinyurl.com/5n7yrs25

(5) https://tinyurl.com/57yr933r


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