Dass die EU Herz und Kopf des Neoliberalismus ist, das haben die meisten Leute bereits verstanden, egal ob sie das ablehnen oder befürworten. Mit dem Argument des „sozialen Europa“ getraut sich heute niemand mehr hausieren zu gehen.
Die EU garantiere „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ – auch damit tun sich die Apologen Brüssels immer schwerer. Denn die EU hat mit der Kommission und ihrem Apparat eine so mächtige wie ungewählte Exekutive sowie eine politisierte Justiz, die nach der Pfeife des Kapitals tanzen. Da helfen auch keine Parlamentsmaskerade oder Verfassungsversuche, die die Zustimmung des Wahlvolkes nicht zu erhalten vermögen. Wie der ehemalige Kommissionspräsident Juncker so treffend und entlarvend feststellte: „Die EU-Verträge sind demokratisch nicht abwählbar.“ Von der Souveränität des Volkes kann also keine Rede sein.
Zuweilen wird von Linksliberalen der „Schutz vor neuerlichen rechten Umtrieben“ ins Treffen geführt. Insbesondere die „Abwehr des Nationalismus“, der Europa in den Strudel der Weltkriege riss und verschlag, zog da und dort noch. Die Realität des vergangenen Jahrzehnts zeigte sich indes anders. Das neoliberale Diktat Brüssels, stark gestützt auf einen Staatenblock um Deutschland, führte zu großen, auch nationalen Spannungen mit den Nationen Südeuropas. Der moralisierende EU-Zeigefinger gegenüber einigen osteuropäischen Ländern wiederum stärkte dort einen populistischen Konservatismus und Autoritarismus. Demokratische und kulturliberale Kräfte sind abgemeldet, da sie als Agenten der EU abgestempelt werden können. Soziale Opposition sogar noch mehr, denn der osteuropäische Rechtspopulismus ist die einzige in Regierungsämtern befindliche politische Tendenz, die ab und an sich nicht an die neoliberalen Vorgaben aus Brüssel zu halten wagt.
2015 wurde Griechenland von der EU sozial und politisch entmündigt und plattgemacht. Die Linke hatte versagt, weil sie nicht bereit war aus dem Korsett des Euro-Regimes auszusteigen. Die Gesellschaft ist in Agonie und Depression verfallen. Es gleicht einem Wunder, dass die Situation noch von keinem rechten Nationalismus genutzt werden konnte.
Das „argument of last resort“ ist immer das „Friedensprojekt EU“. Dabei stört interessanterweise nicht, dass es kontrafaktisch ist. Denn das zweigeteilte Europa war historisch gesehen das mit Abstand friedlichste. Die Expansion des EU-Kapitalismus nach Osten war nur mit Krieg möglich und ist auch die eigentliche Ursache des gegenwärtigen Krieges gegen Russland. Es begann mit Bomben auf Jugoslawien in den 1990er Jahren, das sich als einziges selbständig ohne Großmächte vom Nazi-Faschismus befreit hatte. Damals stellte man das als eine Art Polizeiaktion dar, bei der man die Nato zur Hilfe geholt hatte. Man habe den atavistischen Restbestand des „Serbobolschewismus“ (O-Ton Kronenzeitung) wegräumen müssen, um der Neuen Weltordnung Platz zu schaffen. Die Umdrehung des Antifaschismus wart geboren. Man proklamierte ein neues Auschwitz im Kosovo (O-Ton Rudolf Scharping, ehemaliger deutscher SPD-Verteidigungsminister) und flugs wurden die Bomben humanitär und demokratisch. Dass es sozioökonomisch und (mit allen Unterschieden) letztlich auch politisch um die Wiedereroberung verlorenen Terrains für den imperialistischen Kapitalismus ging (damals zweigeteilt, heute vereinigt), war unsagbar und bleibt es bis heute.
Jugoslawien, und noch mehr Serbien, war letztlich ein Leichtgewicht – und die Sieger dürfen bekanntlich Geschichte schreiben. Unsere Kritik von damals verhallte ungehört. Die serbischen Demonstrationen konnten getrost ignoriert werden. Die mit 9/11 einsetzende Anti-Moslemhatz half die ehemaligen Kritiker zu reintegriert. Es ging gegen einen viel größeren und bedeutenderen Feind, nämlich die Massen des Nahen Ostens, gegen die schon seit Jahrzehnten permanent Krieg geführt wird.
Ich habe immer wieder, auch auf den jährlichen Gedenkveranstaltungen zum Nato-Aggressionskrieg, auf die enormen Gefahren hingewiesen, die von der Expansion von Nato und EU ausgehen und zu Krieg führen werden. Das schien den meisten Menschen einfach nur absurd. Lediglich die Serbinnen und Serben konnten abstrakt damit etwas anfangen. Aber auch viele von ihnen hofften auf den wirtschaftlichen Segen, den ein EU-Beitritt vermeintlich bringen würde – obwohl man ihnen zuvor das Land kaputtgeschossen hatte.
Nun tobt tatsächlich dieser Krieg gegen den viel größeren Feind Russland. Er wurde von der EU geschürt und provoziert. Manifester Ausgangspunkt war das EU-Freihandelsdiktat 2014, das Kiew nicht akzeptieren wollte. Es hätte die Beziehungen zu Russland stark beschränkt. Dagegen brachte man gewaltsam rechts(radikale) Nationalisten an die Macht, die einen Bürgerkrieg auslösten, das Land spalteten und der Nato auslieferten. Der Kreml machte den kolossalen Fehler mit militärischer Eskalation zu reagieren und damit den Krieg gegen Russland als Verteidigungskrieg zu legitimieren. Das Ziel: „Russland ruinieren“, wie die grüne Außenministerin Deutschlands offenherzig formuliert.
Das „Friedensprojekt EU“ hätte den Frieden leicht erhalten könnten, wenn Brüssel nur gewollt hätte. Nicht einmal gegen die Einverleibung der Ukraine durch die EU hätte der Kreml was gehabt, obwohl er gewusst haben muss, dass EU und Nato im Gleichklang marschieren. Es hätte gereicht Russland Sicherheitsgarantien zu geben und den Nato-Beitritt der Ukraine auszuschließen. Aber das will die EU partout nicht. Sie tut es nicht unter einem Siegfrieden. Weckt das nicht historische Erinnerungen?
Aber das darf man nicht aussprechen, denn das kann mittlerweile auch strafrechtlich verfolgt werden, zumindest im demokratischen Musterstaat BRD. Dort hat man kürzlich in §130 Abs. 5 StGB das „Billigen, Leugnen oder Verharmlosen von Völkermord oder Kriegsverbrechen“ verschärft. Das richtet sich nicht nur gegen „russische Propaganda“, sondern vor allem gegen die internen Kritikerinnen und Kritiker. So wurde der Betreiber des Anti-Kriegs-Cafés in Berlin, Heinrich Bücker, bei dem ich mein Buch „Europa zerbricht am Euro“ vorstellen durfte, wegen „Billigung von Straftaten“ angezeigt. Er hatte anlässlich des Jahrestags des deutschen Überfalls auf die UdSSR eine historische Parallele mit dem heutigen Krieg angedeutet.
Wir hatten bei unserer Kampagne für ein Nein bei der Volksabstimmung über den EU-Beitritt 1994 vor solchen Entwicklungen gewarnt. Glauben konnte das damals (fast) niemand, insbesondere große Teile der Linken nicht, die für die EU aufriefen. Sie wundern sich heute, warum sie so marginal sind – und machen als Ursache den reaktionären Charakter der arbeitenden Menschen aus, nicht ihre eigene Positionierung auf Seiten der in Bedrängnis geratenen EU-Globalisierung.
Die Alternative: das Friedensprojekt Neutralität und ein damit verbundenes Programm für ein Selbstbestimmtes Österreich. Das erfordert allerdings den Konflikt mit der EU – alleine schon um beim Wirtschaftskrieg gegen Russland (Sanktionen) nicht mitmachen zu müssen.