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Entwurf Manifest Selbstbestimmtes Österreich

Beitrag zur Diskussion

§1 Wendepunkt

Der Neoliberalismus und die Globalisierung, beide unter US-Vorherrschaft, sind an einem Endpunkt angekommen – so wie bisher kann und wird es nicht mehr weitergehen. Die jahrzehntelangen ununterbrochenen Angriffe der kapitalistischen Eliten auf die große Masse der Bevölkerung hat sich erschöpft. Deren politische Hegemonie geht zunehmend verloren. Die sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind dauerhaft zu groß. Allenthalben breitet sich Unzufriedenheit aus, die bei Gelegenheit auch zu offenem Widerstand umschlägt. In allen gesellschaftlichen Sphären bauen sich Krisenmomente auf, die nach Entladung streben.

 

§2 Globale Krisenmomente

Der Krieg in der Ukraine muss als eine solche Entladung verstanden werden. Washington betrachtete bereits zuvor den scheinbar unaufhaltbaren Aufstieg Chinas im Rahmen der kapitalistischen Globalisierung als Bedrohung für seine Vorherrschaft. Dagegen begannen die USA wirtschaftliche, politische und auch militärische Maßnahmen zu ergreifen, um Peking in die Schranken zu weisen – auch unter Verletzung der von ihnen selbst aufgestellten Regeln des Freihandels. Aber auch gegen den alten Feind Russland mobilisierten sie und versuchten die Nato immer näher an Russland heranzurücken – kompromisslos, bis Moskau schließlich zurückschlug. Auf dem Rücken der Bevölkerung der Ukraine wird nun ein Krieg um einen Schritt in eine multipolare Weltordnung ausgefochten, in der das Recht Krieg zu führen nicht mehr ausschließlich den USA und ihren Verbündeten zukommt.

Die Überdehnung des US-Empires kam seit 9/11 an vielen Punkten zum Ausdruck, insbesondere der zunehmenden Unkontrollierbarkeit des Nahen Ostens, der halben Niederlage im Irak, der Unfähigkeit den unbotmäßigen Iran in die Knie zu zwingen und zum Schluss die volle Niederlage in Afghanistan.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 wies in letzter Konsequenz auf die Unhaltbarkeit des neoliberalen Systems hin, das die sozialen Differenzen auf ein Niveau wie vor dem Zweiten Weltkrieg anwachsen hat lassen. Die daraus resultierende strukturelle Nachfrageschwäche hatte mit der Aufblähung des Finanzsektors lediglich hinausgezögert werden können. Als dieser Finanzsektor ins Wanken zu kommen drohte und insbesondere die EU fast zerriss, half nur eine noch größere Dosis von Kreditwachstum und Finanzialisierung. Aber ohne das andauernde explosive nachfragestabilisierende Wachstum Chinas wäre das dennoch schiefgegangen. In der Zwischenzeit ist der Retter allerdings zum Hauptfeind des Westens avanciert.

2020 trat dann Covid auf die Weltbühne und ermöglichte einen doppelten Schwenk der globalen Eliten. Einerseits wurden fast weltweit autoritäre Maßnahmen nach zivil-militärischen Strickmustern durchgesetzt, die die Opposition gegen das neoliberale Regime mundtot machten – zumindest vorübergehend, denn der Widerstand war ebenso groß. Andererseits konnte mittels der überfälligen Lockerung der Austerität ein gewisser rettender Nachfrageimpuls gesetzt werden. Der Ausnahmezustand ermöglichte auch eine Ausnahme von den eigenen wirtschaftsliberalen Dogmen. Gleichzeitig reduzierte man die umfassende ökologische Krise auf das Klima. Unter dem Titel „Green New Deal“ sollen mittels staatlicher Mittel neue Industrien angeschoben werden, um das alte Entwicklungsmodell einschließlich der ungleichen Verteilung möglichst unangetastet zu lassen. Eine ganz wichtige Rolle kommt dabei den digitalen Technologien zu, die sich zur Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung eignen.

 

§3 Ende von Rotschwarz – Antifa als Flankendeckung des neoliberalen Zentrums

Jahrzehntelang wurde der Neoliberalismus in Österreich durch die Große Koalition durchgesetzt und verwaltet. Die Unkosten: Langsamkeit, Verkrustung und Abnutzung. Die einzige Opposition, die vorgab sich den Zurückgelassenen und Ausgeschlossenen zu widmen, schien die FPÖ zu sein. Das soziale Moment blieb allerdings immer fest dem Chauvinismus gegen die Anderen (Feindbilder, die zur Spaltung der unteren Schichten führen) untergeordnet. Gleich zwei Mal führe die FPÖ ihre Wähler in eine Koalition mit der ÖVP und stellte damit ihren systemischen Charakter unter Beweis, jeweils mit der Folge historischer Wahlniederlagen.

Das systemische linke Gegenstück dazu ist das Antifa-Ideologem, dessen sich auch das Zentrum immer exzessiver bedient. Die Überhöhung der FPÖ als faschistische Gefahr fungiert umgekehrt als Entlastung der neoliberalen Mitte zumindest als kleineres Übel. Zunehmend wird jede tendenziell auch soziale und linke Opposition mit Begriffen wie „Populismus“, „Antisemitismus“, „Verschwörungstheoretiker“ ins rechte und faschistische Eck gestellt, gegen die das Zentrum die einzige Rettung wäre, uns sei sie nicht noch so neoliberal. Auch auf diese Weise konnte bisher die Bildung einer demokratischen und sozialen Systemopposition unterbunden werden.

Sowohl die Episode Kurz als autoritär-neoliberal-chauvinistischer Messias als auch Türkisgrün, eine Neuauflage der Großen Koalition in anderer Form, sind Zeichen der Instabilität und Abnutzung, die nach neuen, auch experimentellen Formen der Herrschaft verlangen aber gleichzeitig auch Raum für Opposition geben – nämlich aller Art, wie man an der Covid-Maßnahmen-kritischen Bewegung oder auch an den Gelbwesten in Frankreich sieht.

 

§4 Gegen die Globalisierung, die Volkssouveränität

Es ist überhaupt nicht klar, wohin die Welt, Europa und auch Österreich gehen. Es ist lediglich klar, dass eine Periode zu Ende geht, dass das alte Regime brüchig wird und dass die Führungsmacht USA nicht mehr als Vorbild dienen kann. An der globalen Peripherie versucht man China nachzueifern, insbesondere die Eliten. Doch für ein demokratisches und sozialen Projekt der Emanzipation ist der kapitalistische Autoritarismus Chinas keine Alternative, so sehr er seine Eigenständigkeit auch betonen mag.

Das große historische Projekt der Emanzipation, das mit der Französischen Revolution – Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit – gleichzeitig in die Moderne gekommen und diese begründet hat, ist keineswegs tot. Doch es bedarf, nach den Niederlagen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts, der Sammlung, Neuorientierung und der praktischen Experimente für einen tastenden Neubeginn. Die Gründe des Scheiterns sind vielfältig. Einer liegt in der Schwierigkeit die extreme Ungleichverteilung der gesellschaftlichen Macht, monopolisiert durch die kapitalistischen Eliten, gleichzeitig anzugreifen und mit ihr und ihren vielfältigen Folgen in allen Sphären der Gesellschaft umgehen zu müssen. Es geht darum Formen der demokratischen (Gegen)macht zu entwickeln, die gegen das globale Zentrum trotz wirtschaftlicher Unterlegenheit bestehen und Konsens erhalten können, ohne den Kampf gegen dieses Zentrumseliten aufzugeben und in letzter Konsequenz zu deren Instrument zu werden.

In der gegenwärtigen Periode besteht die zentrale Idee darin, die Unheil bringende Globalisierung zu stoppen und dadurch Gestaltungsmacht zurückzugewinnen. „Take back control“ lautete der großartige Slogan der britischen Kampagne für den EU-Austritt. Es geht um Selbstbestimmung und Volkssouveränität, wie es in der Französischen Revolution hieß.

Als Instrument drängen sich die verfemten Nationalstaaten auf. Diese hatten nach dem Zweiten Weltkrieg ein bisher nicht gekanntes Ausmaß an sozialer Entwicklung und politischer Partizipation ermöglicht und institutionalisiert, bis sie unter die Dampfwalze des Neoliberalismus und der Globalisierung gerieten, die untrennbar in einander verwoben sind. An diesem historischen Erbe, in Österreich repräsentiert durch die Kanzlerschaft Kreiskys, wollen viele anknüpfen. Doch damals wurden in einer bestimmten globalen Konstellation demokratische und soziale Verbesserungen gewährt – um die Eliten in ihrer Position zu halten. Heute ist an einen solchen Mechanismus nicht mehr zu denken. Die Eliten, auch im Rahmen der Nationalstaaten, versuchen ihre exklusive Macht und das wirtschaftsliberale Rollback mit dem Verweis auf den Sachzwang des globalen Marktes zu legitimieren. Um so mehr kann der Wunsch und Versuch der Mehrheit der Bevölkerung, gesellschaftliche Gestaltungsmacht, also Volkssouveränität, (zurück) zu erlangen, nur mittels der Macht über den Staat verwirklicht werden, die wiederum der festen Unterstützung des Demos, der Nationen, bedarf.

Die Idee der Volkssouveränität alleine ist noch kein ausformuliertes politisches Projekt der Emanzipation, sagt noch nicht aus, wie man dorthin gelangen kann, ist vage und erlaubt viele unterschiedliche Interpretationen – nichts zuletzt die weiterhin bestehende (aber immer unglaubwürdigere) Behauptung der Eliten diese Volkssouveränität zu repräsentieren.

Es geht darum einen Weg dorthin einzuschlagen und ein politisches Projekt der Befreiung zu entwickeln. Die Geschichte lehrt uns, dass einzig sozialrevolutionäre Methoden zum Ziel führen können, doch das liegt für die Mehrheit keineswegs auf der Hand, sondern das gilt es politisch zu belegen.

Hier einige politische wie programmatische Eckpunkte, die auf einen Bruch mit den Eliten hinauslaufen:

 

§5 Nein zum Regime der Extremen Mitte

Der Neoliberalismus hat kulturkonservativ angehoben und endet kulturliberal. Eine seiner zentralen Säulen besteht in der Integration der historischen Linken, sowohl ideologisch als auch organisatorisch, was den Eliten ein zweites Standbein gibt. Ermöglicht wurde das durch die historische Niederlage der Arbeiterbewegung, gegen die der Konservativismus als Massenideologie erst in Stellung gebracht worden war.

Bei der Operation werden die kulturellen Rechte von ihren sozialen und gesellschaftlichen Grundlagen abgetrennt und symbolisch überhöht. Das bedeutet nicht nur eine Aushöhlung, sondern oft sogar eine Umdrehung, wie zum Beispiel bei der Antifa-Ideologie, die richtiggehend auf den Kopf gestellt wurde. Von einem demokratischen und sozialen Instrument insbesondere gegen die proamerikanischen Nachkriegseliten, wurde sie zum Werkzeug gegen jeglichen Protest gegen die herrschenden Eliten, eben auch mit demokratischen und sozialen Momenten, zur Panzerung der neoliberalen Herrschaft.

Das heißt nicht, dass das neoliberale Zentrum nicht vielfältig wäre. Im Gegenteil, es zieht einen Teil seiner Legitimität aus dieser Vielfalt von links und rechts, von liberal bis konservativ, sich immer wieder neu zusammensetzend und in schrillsten Farben schillernd. Doch beim Wirtschaftsliberalismus, bei der Globalisierung und bei der Unterordnung unter die EU und USA – kurz: bei der Verteidigung der Eliteninteressen – agieren sie alle gleich. Das entscheidende ist, nicht auf diese Verkleidungen hereinzufallen, sie nicht zu unterstützen und schon gar nicht Koalitionen mit ihnen einzugehen.

Das mag ganz simpel und einleuchtend klingen. Auf die Probe wird es erst im Angesicht der Alternativen gestellt. Denn Opposition gegen das neoliberale Regime, oft von den unteren Schichten getragen, wurde immer wieder auch durch chauvinistische und rechte Kräfte kanalisiert, bei uns insbesondere durch die FPÖ. Für große Teile der Linken geht von solchen rechtspopulistischen Kräften eine faschistische Gefahr aus. Sie gelten damit als Hauptfeind und das neoliberale Regime wird zum kleineren Übel.

Zunehmend verschiebt sich die Definition des Begriffs „faschistisch“, „rechts“ oder „rechtsoffen“ auf alles, was dem „Volk nach dem Mund redet“, also beispielsweise die Bewegung gegen die autoritären Corona-Maßnahmen oder selbst Proteste und Kräfte, die vom Mainstream als „linkspopulistisch“ bezeichnet werden.

Doch es gibt in der gegenwärtigen Periode in Österreich keine signifikanten Kräfte, die sinnvoll als faschistisch zu bezeichnen wären – also Gruppen, die gegen demokratisch und sozial gesinnte oppositionelle Menschen oder Feindbilder systematische politische Gewalt ausüben und dafür von den Eliten versteckte bis offene Unterstützung erhalten würden. Dafür brauchen die Eliten keine Hilfskräfte. Das können sie selbst im Rahmen ihres Systems. (Erst wenn diese Möglichkeiten einmal erschöpft sein sollten, kann sich das ändern.)

 

§6 Autoritäre Verhärtung

Zumindest seit 9/11 unternehmen die herrschenden Eliten den systematischen Versuch der Einschränkung der Grundrechte. Das geht über den „Krieg gegen den Terror“, die Stilisierung von Muslimen zum Feind hin zur Einschränkung für antikolonialen und antiimperialistischen Aktivismus. Meinung wird zunehmend reglementiert, Abweichung zunächst medial als politisch unkorrekt mittels Rufmords verfolgt bis hin zum Versuch, Meinungsdelikte zu konstruieren.

Der Covid-Ausnahmezustand stellte eine weitere Radikalisierung dar, vor allem weil die Kampagne gegen die Skeptiker, gern „Leugner“ genannt (um sie semantisch in die Nähe von Holocaust-Leugnern zu stellen), und die Impfgegner einen signifikanten Anteil der Bevölkerung über alle sozialen Schichten hinweg betraf – anders als bisher, wo Randgruppen ins Visier genommen worden waren.

Hinzu kommt der vielgestalte Ausbau des Überwachungsapparats, dessen volles Ausmaß für die meisten gar nicht erkennbar ist.

Das parlamentarische System, zentrale Legitimation der Eliten, wird immer mehr ausgehöhlt und verliert an Repräsentationskraft. Nicht nur, dass auch formal die Entscheidungsgewalt stark auf ungewählte EU-Institutionen übertragen wurde. Man erinnere sich an das Diktum des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Juncker, der meinte, dass die EU-Verträge demokratisch nicht abwählbar seien. Auch die exklusive Macht und Kontrolle der Eliten über die Medien führt zu einem massiven Verlust an Glaubwürdigkeit.

Dennoch, in vielen Ländern gibt es oppositionelle Kräfte, die sich auch parlamentarisch artikulieren und den Eliten ernsthafte Probleme machen können, trotz der Feindschaft der Medienapparate. Daher gibt es die Tendenz, die Zugangshürden zu erhöhen, das Verhältniswahlrecht zugunsten eines Mehrheitswahlrechts umzubauen, sowie präsidiale Systeme zu fördern.

Trotz der immer offensichtlichen Schwächen des parlamentarischen Systems verheißen diese Konterreformen nichts Gutes und zielen allesamt auf die weitere Abschirmung der Eliten. So wenig der Parlamentarismus der Partizipation der großen Mehrheit dient, muss er gegen die autoritäre Tendenz verteidigt werden. Das widerspricht keineswegs dem Ziel, möglichst Formen der aktiven Demokratie und politischen Teilnahme der breiten Bevölkerung anzustreben und zu entwickeln hin zu eigenen alternativen Machtorganen, die einer breiten und tiefen Bewegung bedürfen. Doch dort hin ist es noch ein weiter Weg.

Viel näher liegt der Schritt selbst die Möglichkeiten des Parlamentarismus zu nutzen, um zur breiten Masse der Bevölkerung zu sprechen und zu ihrer Stimme zu werden. Das ist auch was von demokratischen und sozialen Oppositionskräften erwartet wird. Dieser Durchgang ist notwendig, um die Bevölkerung die Möglichkeiten testen zu lassen. Erst wenn dieser Weg sich als nicht gangbar erweist, weil ihn die Eliten auf die eine oder andere Art und Weise blockieren, werden Teile zu sozialrevolutionären Methoden übergehen, die auf einen strukturellen Bruch mit den Eliten hinauslaufen.

 

§7 Feindbildproduktion

Wenn die kapitalistischen Eliten unter Druck kommen, dann suchen und finden sie gerne ein Feindbild, vermeintlich bedrohliche und gefährliche Andere, gegen die man sich zusammenschließen und verteidigen müsse. Das hat meist einen äußeren als auch einen inneren Aspekt, die auf spezifische Weise miteinander in Zusammenhang stehen. Gesellschaftliche Funktion dieser Feindbilder ist die Ablenkung von der Verantwortung der Eliten und die Spaltung der untergeordneten Schichten.

Unterschiedliche kollektive Identitäten zwischen verschiedenen Gruppen wird es immer geben, die manchmal auch Momente des Ressentiments enthalten können. Gefährlich wird es dann, denn diese von den Herrschenden systematisch benutzt und gefördert werden.

Der historische Antisemitismus wurde so gegen die Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterbewegung in Stellung gebracht. Dieselbe Rolle spielt heute die Mobilisierung gegen die Muslime, die zur Struktur der Herrschaftsideologien passt. Rechte und linke Ideologeme werden im Sinne einer Querfront vermischt, nicht nur um sich in der Überlegenheit und Pluralität der westlichen Kultur zu erhöhen, sondern sich in Umkehrung der realen Machtverhältnisse als potentielle Opfer darzustellen. So hat man beim Zuschlagen die beste Rechtfertigung.

Das Gegenmodell ist die gleichberechtigte Integration aller Menschen, die dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt hier haben. Diese kann nur funktionieren, wenn die soziale und politische Schere, die in den letzten Jahrzehnten immer weiter aufgegangen ist und viele auch autochthone Untergeordnete ausgeschlossen hat, wieder zugemacht wird. Denn wer selbst ausgeschlossen wurde, der kann leicht dazu angestiftet werden, Anderen ebenfalls den Einschluss zu verweigern.

Das heißt keineswegs für offene Grenzen zu werben, wie es die neoliberale Linke tut. Dem Demos, der politischen Gemeinschaft, kommt das Recht zu, über die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen. Er ist die Grundlage der Demokratie und ist historisch nationalstaatlich organisiert. Volkssouveränität bedeutet auch, über die Aufnahme in den Demos entscheiden zu können.

Wir stellen uns gegen einen weltweiten „freien Markt“ der Ware Arbeitskraft. Die Globalisierung hat dessen negative Auswirkungen dramatisch demonstriert, nämlich das Absinken des Anteils der untergeordnet Arbeitenden am Sozialprodukt, sowohl in den reichen Zentren also an der globalen Peripherie.

Erst so kann der Chauvinismus und die innere Spaltung wirksam bekämpft werden, in dem man nämlich deren wirtschaftliche Wurzeln adressiert.

 

§8 Soziale Gerechtigkeit und reale Verfügungsgewalt

Die Freiheit ist eines der Flaggschiffe der Moderne sowie des Emanzipationsprojekts. Sie enthält notwendig immer auch einen individuellen Aspekt. Doch abgetrennt von den gesellschaftlichen Machtverhältnissen bleibt die Freiheit entweder ein abstraktes Hirngespinst oder ein exklusives Vorrecht einer kleinen Minderheit auf Kosten der großen Mehrheit. Freiheit hat also immer und notwendig einen kollektiven Aspekt.

Der große Streitpunkt geht darum, wie sehr formal gleiche Rechte in ihrer Ausübung real gemacht werden können, durch soziale Gerechtigkeit oder sogar annähernde Gleichheit. Und letztendlich geht es nicht allein um den Anteil am gesellschaftlichen Reichtum, am kollektiven Sozialprodukt, sondern viel umfassender um die gesellschaftliche Verfügungsgewalt.

Der Begriff der Selbstbestimmung ist bezüglich dieses komplizierten Verhältnisses von Individuum und Kollektiv vieldeutig und spannt ein Feld auf. Uns zeigt die Geschichte, dass diese umfassende Selbstbestimmung und Emanzipation nur erreicht werden können, wenn die gesellschaftliche Verfügungsgewalt insbesondere auch über den produktiven Apparat der kleinen herrschenden Gruppe an Besitzenden entrissen und der großen Mehrheit ausgeübt wird. Demokratie kann und darf die Wirtschaft nicht aussparen, im Gegenteil, die politische Kontrolle der Mehrheit über diese ist die wirkliche Voraussetzung Demokratie real zu machen – das abzuwehren, ist das Ziel der kapitalistischen Eliten seit Geburt des Kapitalismus.

Die neoliberal gewendete Linke kümmert sich nur um den Sozialstaat. Der Sozialstaat ist wichtig, aber er dient vorwiegend der Reparatur einer ungerechten Ordnung. Es geht aber darum Produktion und Verteilung, also die Wirtschaft, so umzugestalten, dass alle nach ihrem Können, Wissen und Willen einen Beitrag leisten und entsprechend einen Anteil des Produkts erhalten. Der „freie Markt“ kann das nicht, ganz abgesehen davon, dass es diesen gar nicht gibt, sondern letztlich einen Staat versteckt, der sich der Verantwortung für die unteren Teile der Gesellschaft entledigen will. Volkssouveränität bedeutet also für uns das politische Eingreifen zur demokratischen Steuerung der Wirtschaft durch und für die Mehrheit.

Wichtigstes Instrument dazu sind die diversen staatlichen Hebel. Ganz wesentlich sind dabei die öffentlichen Haushalte, die mit ihren Ausgaben und Investitionen sowohl Entwicklung als auch Verteilung steuern. Als ebenso wichtig hat sich die Geldpolitik mit Zinssetzung, sowie Geld- und Kreditschöpfung erwiesen. Dazu kommt noch die Lenkung durch Steuern. All diese Hebel gehören den Eliten aus den Händen genommen und müssen von den Repräsentanten der breiten Masse übernommen werden.

Ganz konkret stellten sich diese Fragen in Griechenland im Sommer 2015. Die Regierung hatte nicht nur bei Wahlen, sondern auch in einem Referendum das Mandat erhalten, mit dem neoliberalen Diktat Schluss zu machen. Die EU erpresste Athen mit der Drohung, ihr den Geldhahn abzudrehen. In diesem Moment gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Zentralbank in die Hand zu nehmen und eigenes Geld auszugeben, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, den Finanzsektor zu lenken und die zentralen Industrien zu steuern sowie die zusammengebrochene Nachfrage durch öffentliche Ausgaben aufzufangen – unter gleichzeitiger politischer Mobilisierung der breiten Bevölkerung gegen die mit der EU verbundenen neoliberalen Eliten. Oder klein beizugeben, was mit katastrophalen sozialen Folgen bis heute geschah.

 

§9 Ökosoziale Wende versus Green New Deal

Mit der Kontrolle über die öffentlichen Haushalte kann einerseits die Vollbeschäftigung hergestellt werden, was nichts anderes heißt, als dass jeder Mensch seinen Beitrag leisten kann und dafür auch seinen Anteil erhält – so unterschiedlich diese auch sein mögen. Kein Mensch ist überflüssig und die wichtigste Produktivkraft, die Menschen selbst, sollen sich möglichst entfalten können. Mit Phänomenen wie Arbeitslosigkeit soll überhaupt Schluss gemacht werden. Andererseits kann in sozial und ökologisch sinnvolle Sektoren investiert werden, wie in das Bildungssystem, das Gesundheitswesen, Wohnbau, den öffentlichen Verkehr als auch in gewisse Industrien. Auf diese Weise wird nicht nur die Verteilung gerechter und die Lebenschancen der unteren Schichten verbessern sich, sondern es kann und muss umfassend Rücksicht auf die Umwelt genommen werden. Wir brauchen eine ökosoziale Konversion des produktiven Systems, die Natur und Kultur nicht gegen einander stellt, sondern miteinander in Einklang bringt.

Die ökosoziale Entfaltung der Produktivkräfte muss auch den unter dem Neoliberalismus immer größer gewordenen Druck aus dem Arbeitsleben nehmen, Arbeitszeit verkürzen, vielfältige individuelle Entfaltungsmöglichkeiten schaffen, lebenslanges Lernen ermöglichen, sowie der sportlichen und künstlerischen Betätigung mehr Raum geben. Die wachsende Arbeitsproduktivität und der zunehmende gesellschaftliche Reichtum sollen nicht mehr durch Armut, Elend und Unfreiheit vieler bedingt werden, sondern als mehr realer Freiheit allen zugute kommen.

Das muss sich auch in einem gerechteren Verhältnis von Stadt und Land widerspiegeln, wo Randlagen besondere Förderungen zukommen sollten. Die Raumordnung muss sich verändern, lokale Zentren entwickeln, die Erwerb, Konsum, Freizeit etc. abzudecken vermögen – genauso in den Städten und ihrem Umland. Damit sollen kurze Wege und lokale Kreisläufe ermöglicht und die soziale und kulturelle Segregation aufgehoben werden.

Angesichts der ökologischen und wirtschaftlichen Krise sind die Stimmen für ein Gegensteuern so groß, dass auch die Eliten reagieren müssen und nicht einfach wie bisher weitermachen können. Ihre Antwort ist der Green New Deal. Doch diesem geht es darum, die Konversion möglichst unter Beibehaltung der bestehenden Verteilungs- und Machtverhältnisse sowie des Entwicklungsmodells zustande zu bringen. Das Elektroauto ist vielsagendes Symbol dessen. Sie wollen das ökologisch und sozial destruktive System des individuellen Autoverkehrs um jeden Preis erhalten und gleichzeitig die öffentlichen Mittel in die Hand der Eliten lenken.

Bisher wurden alle ökosozialen Investitionen mit dem Argument abgewehrt, dass kein Geld da sei, dass man bereits hoch verschuldet wäre und dass man im Gegenteil sogar Ausgaben kürzen müsste – so das zentrale Prinzip der letzten Jahrzehnte. Das geht an der Realität vorbei und dient in Wirklichkeit der Rechtfertigung für die jahrzehntelange Bereicherung der bereits Besitzenden. Denn es geht immer um Verteilung, Nutzung und Lenkung gesellschaftlicher Ressourcen – die da sind und nur unterschiedlich genutzt und entwickelt werden sollen. Wir wollen sie im Gegensatz zu den Eliten sozial und ökologisch einsetzen und meinen, damit auch gesamtgesellschaftlich die besseren Ergebnisse für alle erzielen zu können.

 

§10 Für eine gerechtere Weltordnung, ausgehend von der österreichischen Neutralität

Die inneren Verhältnisse stehen immer in Wechselwirkung zur Außenpolitik und repräsentieren die Interessen der herrschenden Kräfte. Österreich hat die weltweite neoliberale Konterrevolution mitgemacht und mitbetrieben, innen wie außen. Sichtbarer Wendepunkt war der Beitritt zur EU (damals noch EG) 1995, die konkrete Organisationsform des Neoliberalismus in Europa, die die sozialen und politischen Zugeständnisse der vorangegangenen Jahrzehnte wieder rückgängig machen sollte. In vielen Ländern war dem EU-Beitritt die Aufnahme in die Nato vorausgegangen, der militärischen Seite des neoliberalen Regimes und der mit ihm verbundenen US-Weltordnung. Auch Österreich näherte sich de facto der Nato sehr weitgehend an, doch der formale Beitritt ist den Eliten nie gelungen – auch weil die Neutralität eine richtiggehend nationsstiftende Funktion hat.

Die Neutralität ist ein Geschenk der Geschichte, das nicht selbst erkämpft wurde. Sie ist das Ergebnis des Siegs der Sowjetunion über den deutschen Nationalsozialismus und damit auch der kapitalistischen Eliten in Österreich, die sich fest dem Faschismus verschrieben hatten. Obwohl der österreichische Staat viele Jahrhunderte zurück reichte, blieb die Nation nach der Revolution gegen die Habsburger 1918 brüchig. Erst die Neutralität im Verbund mit den enormen sozialen und demokratischen Verbesserungen nach den Weltkriegen ließ sie die Bevölkerung vollständig annehmen.

Ausgangspunkt war der Friede mit Russland. Unter Kreisky entwickelte sich das dann bis hin zu einem Dämpfer für die imperiale US-Politik, die in der Anerkennung der Palästinenser als Volk mit dem Recht auf Selbstbestimmung gipfelte.

Die österreichische Republik blieb indes auf der die Eliten entschuldigenden historischen Lüge aufgebaut, kollektives Opfer der Nazis geworden zu sein. Der 180-Grad-Drehung 1987, hin zur ebenso unzutreffenden These vom kollektiven Täter, die abermals die Eliten aus der Verantwortung nimmt, kann als ideologische Vorleistung zum EU-Beitritt verstanden werden. Das was wie eine späte Läuterung wirkt, bedeutete in Wirklichkeit die Entsorgung der progressiven Momente der österreichischen Nationswerdung. Just in diesem Moment schob die FPÖ ihren historischen Deutschnationalismus (O-Ton Haider Missgeburt Österreich, früher auch offen für die EG) in den Hintergrund und versuchte sich in einem reaktionären Nationalismus. Die Linke ging im Gleichschritt mit den Eliten mit fliegenden Fahnen zur Globalisierung über, überließ die Nation, und insbesondere die mit ihr verbundene Neutralität, der Rechten, anstatt sie als Plattform gegen die neoliberale Wende zu verteidigen. Heute ist es gerade die FPÖ, die im parlamentarischen Rahmen, als einzige Kritik an der österreichischen Unterstützung für die Nato in der Ukraine äußert und die Einhaltung der Neutralität einfordert.

Die Kooperation mit Osteuropa über den Eisernen Vorhang hinweg, anfangs als Überwindung des von den USA angeführten Kalten Kriegs gesehen, drehte sich mit dem Neoliberalismus und der EU in eine Form der Wiederinbesitznahme, insbesondere im ehemaligen Jugoslawien bis hin zur Unterstützung eines bis heute als solchen nicht anerkannten neokolonialen Krieges. Die gegenwärtige extreme Parteinahme auf Seiten Israels und auch mit dem Nato-Krieg in der Ukraine bedeuten eine völlige Missachtung der Neutralität durch die Eliten.

Trotzdem hält anders als in Finnland und Schweden ein überwältigender Teil der österreichischen Bevölkerung an der Neutralität fest und trotzt dem politisch-medialen Trommelfeuer. Eine unserer zentralen Forderungen muss also lauten: Wiederherstellung der Neutralität im Sinne des Friedens und gegen die Beteiligung an imperialistischen Kriegen, wie es von den USA und der EU gefordert wird.

Das Ziel ist die Ablösung der monopolaren Weltordnung mit dem verbundenen neoliberalen Freihandelsregime. Das bedeutet keineswegs, dass die aufsteigenden Mächte für mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit stehen würden. Sie verfolgen ebenfalls ihre Eigeninteressen. Doch die sich auftuenden Spielräume ergeben mehr Möglichkeiten für demokratische und soziale Selbstbestimmung, die wir nach innen wie nach außen unterstützen und entwickeln wollen.

 

§11 Wir versuchen es

Gegen das neoliberale Regime und sein rechtspopulistisches Spielbein FPÖ konnte sich die vergangenen Jahrzehnte keine signifikante demokratische und soziale politische Kraft etablieren. Es gab lediglich Bewegungen zu einzelnen Themen, aber keine umfassende Antwort.

Jetzt befindet sich das Regime selbst in erheblichen Schwierigkeiten, zieht zum Autoritarismus und muss sich immer wieder umbauen. Unmut, Ablehnung und offene Opposition sind so groß wie schon lange nicht mehr – bis hin zum Widerstand auf der Straße, allerdings ohne klare Ideen.

Die Zeit scheint nun reif den Versuch zu unternehmen, dieser Tendenz eine demokratische und soziale politische Organisation anzubieten, sich mit Teilen der Bewegung zu verbinden um eventuell sogar eine Partei formieren zu können, die sich den Bruch mit den autoritär-kapitalistischen Eliten und die Herrschaft der Mehrheit zum Ziel setzt.

Für ein selbstbestimmtes Österreich – demokratisch, sozial, ökologisch

 

Wien, im Sommer 2022