Ging Donald Trump diesmal unzweifelhaft als Sieger aus dem US-Wahlspektakel hervor, so erinnern wir uns doch noch alle an die Episode in Folge der letzten Präsidentschaftswahl die damit endete, dass Trumps Anhänger – befeuert durch seinen Vorwurf des Wahlbetrugs – am 6. Jänner 2021 das Kapitol stürmten. Spätestens seitdem ist die Debatte entbrannt ob nun die USA in den Faschismus übergehen.1 Im letzten Jahr erschütterte zudem ein Attentatversuch auf Trump die USA – ein weiteres Zeichen des Niedergangs und der Destabilisierung, von liberaler vorzeige Demokratie kann längst nicht die Rede sein.
Wenngleich faschistische Verbände unter den Besetzern des Kapitols waren, so kann man es sich doch nicht so einfach machen die Bewegung um Trump zum wiederkehrenden Faschismus zu erklären. Der entscheidende Grund ist: der historische Faschismus war in seiner Entstehung eine gegen die Arbeiterbewegung auf ihrem Höhepunkt gerichtete Counterinsurgency-Strategie (anschließend an die Doktrin der Konservativen Revolution). Die bürgerlich-kapitalistische Ordnung wurde, als sie am Ende des Ersten Weltkriegs 1918/1919 in die Defensive geraten war, durch paramilitärische Truppen, die außerhalb der formell-juristisch definierten Staatsgewalt standen, gegen das demokratische Aufbegehren des Volkes abgesichert. Die späteren Stadien des Faschismus wurden nur in Fällen (Italien und Deutschland) erreicht, wo die antikommunistische Gegenrevolution zuvor bereits relevante paramilitärische faschistische Organisationen hervorgebracht hatte. Wo die klassische konservative Staatsmacht im großen und ganzen ausreichte um die Kontrolle zu behalten, machten die einzelnen Faschisten typischerweise als Personen Karriere im Rahmen dieser Strukturen (Horthy-Ungarn und die Königsdiktaturen am Balkan). Wichtig ist hier vor allem: die revolutionäre Opposition ist in den USA heute überhaupt nicht auf ihrem Höhepunkt und es gibt derzeit noch genügend erprobte und weniger riskante Methoden wie die Kapitalisten der Lage Herr werden können als die faschistische Straßen-Mobilisierung.2
Im Sinn der kommunistischen Faschismustheorie heißt es (Dimitroff-These 1935): “Der Faschismus an der Macht, Genossen, ist, wie ihn das 13. Plenum des EKKI richtig charakterisiert hat, die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.” Der US-Imperialismus steht in diesem Sinn an sich in engem Zusammenhang mit dem Faschismus. Nicht nur in Lateinamerika wurden Militärdiktaturen als Mittel zur Durchsetzung neoliberaler Politik eingesetzt. Aber der Pinochet Putsch der am 11. September 1973 in Chile durchgeführt wurde ist beispielhaft für US-imperialistische Regime Changes. Längst ist jede Regierung, die sich nicht dem US-Imperialismus unterordnet, zum potentiellen Angriffsziel geworden, ob sie nun in stolzem Rot erstrahlt oder nicht. Die außenpolitische Aggression der USA hat aber zweifellos auch vielfältige Auswirkungen auf das zivilgesellschaftliche Leben in den USA. Hier sind wir – Stichwort Krieg gegen den Terror, Wikileaks und Überwachungsstaat – der Ursache des demokratischen Niedergangs und der Destabilisierung vielleicht am nächsten. Ob Demokraten oder Republikaner sagt dabei nicht viel aus, beide sind im Sinn der Dimitroff-These Parteien des Monopolkapitals. In der Jahrzehnte alten Neokonservatismusdebatte ging es genau darum, dass man auch progressive Gesellschaftspolitik mit rücksichtsloser imperialistischer Außenpolitik verbinden kann. Trumps offener Chauvinismus stört die Kavaliers-Romantik vom Bombenwerfens für Frauenrechte, aber er repräsentiert deswegen keine noch aggressivere Kapitalfraktion des US-Imperialismus.
Trumps “Muslim ban” mag an den Antisemitismus der Jahrhundertwende und des frühen 20. Jahrhunderts erinnern. Aber antireligiöse Karikaturen wie das vom ehemaligen Neos-Abgeordneten Nico Alm populär gemachte Fliegende Spaghettimonster und säkularistisch gefärbte bildungsbürgerliche Arroganz erfüllen die Funktion des Chauvinismus mindestens ebenso gut. Der liberale Antipopulismus richtet sich nicht nur gegen den Glauben der unterdrückten Völker, sondern gegen jede Form der politischen Mobilisierung der Volksmassen, gegen alle Völker und ihren – von der neoliberalen Lehre abweichenden – Volksglauben. Letztlich geht es um die Vollendung der Endsolidarisierung durch pseudo-individualistische Vereinzelung. Der Antipopulismus ist dabei bereits in der ersten Amtszeit Trumps so weit über das Ziel hinausgeschossen, dass selbst die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung eine Kurskorrektur vornahm.3 In der Kriegsvorbereitung können auch die Herrschenden nicht auf die Mobilisierung des Volkes verzichten. Am deutlichsten zeigt sich die systemische Doppelmoral in der Geopolitik. Die kapitalistische Elite kennt Völker und Nationen immer nur dort, wo es ihr gerade passt, wo sie ihr als Kanonenfutter an der Front nützlich sind, wie die Ukrainer oder die Israelis. Der Neoliberale orientiert sich am kalten ökonomischen Eigennutz, während er in der Gesellschaft versucht, alle Individuen identitätspolitisch einzuordnen und zu verwerten. Man kann Trump vieles vorwerfen, aber nicht, dass er den Krieg bis zum letzten Ukrainer vorzeitig beenden will.4
Der Slogan „make america great again“, als populistischer Mythos der nationalen Wiedergeburt gelesen, passt jedoch wie angegossen in die Faschismusdefinition von Roger Griffin. Aber selbst Griffin, der in der liberal-konservativen Mainstream-Debatte als Theoretiker hochgehalten wird und von Trump keine hohe Meinung hat, bestreitet vehement, dass Trump sinnvollerweise als Faschist bezeichnet werden kann.5 Mit dem antipopulistischen Faschismusvorwurf nimmt die neoliberale Salon-Antifa in Wahrheit eine ultrarechte, antidemokratische Position ein. Der Vorwurf richtet sich dagegen, die Stimmungen der Volksmassen - etwa die Kriegsmüdigkeit in den imperialistischen Ländern - überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Lieber beginnt man mit irgendwelchen Verschwörungstheorien über die langen Arme des Kremls.
Liberalismus und Faschismus als absolute Gegensätze darzustellen, wie es im Mainstream üblich ist und z.B. durch „secret hitler“ (ein Gesellschaftsspiel von 2016!) modelliert wird, ist ahistorischer Betrug! Das liberale Lager hat sich in der Zeit des Faschismus praktisch aufgelöst. In Österreich ging man entweder zur marxistischen Sozialdemokratie (Victor Adler), zur populistischen Christlichsozialen Partei (Karl Lueger) oder zu den von Georg Schönerer geprägten Deutschliberalen, der späteren Großdeutschen Volkspartei, die schließlich im NS-Faschismus aufging. Der organisierte antifaschistische Kampf ging einerseits von der Kommunistischen Partei und andererseits von der vaterländisch-katholischen Seite aus. Bezeichnenderweise war auch die Antifaschistische Aktion, deren Logo heute von Linksliberalen in vielfältiger Form karikiert wird, eine Gründung der KPD von 1932. Der parteiliche Antifaschismus der Partisanen war und ist etwas grundsätzlich anderes als der überparteiliche liberale Anstand, als dessen Hüter sich die bildungsbürgerlichen Antifas heute allzu gerne aufspielen. Wenn es ein bürgerliches Erbe gibt, an das wir heute positiv anknüpfen können, dann ist es die Meinungs- und Versammlungsfreiheit - und nicht die gegenseitige Vernaderung.
Statt also in den Chor derer einzustimmen, die Trump oder auch der FPÖ Populismus vorwerfen, sollte man sie lieber dafür kritisieren, dass ihr Populismus oberflächlich ist und nicht weit genug geht. Die Aufgabe echter Populisten ist es, Volksbewegungen auf dem langen Weg der kollektiven Willensbildung zielstrebig zu begleiten. Klassen, Schichten und Gemeinschaften mögen sich ihrer unterschiedlichen Standpunkte oder widersprüchlicher Interessen bewusst werden, die demokratischen Rechte des Volkes aber bilden ein unteilbares Ganzes. Die demokratische Erneuerung der Nation kann nur durch das Kollektiv, also nur durch den Demos erfolgen. Dazu genügt es nicht, einzelne Personen im Staatsapparat auszutauschen, sondern die korrupte kapitalistische Elite als Ganzes muss ihrer gesellschaftlichen Funktion enthoben werden.
1https://www.npr.org/2024/10/29/nx-s1-5164488/harris-trump-fascist-explained
2Margit Szöllösi-Janze, Die Pfeilkreuzlerbewegung in Ungarn. Historischer Kontext, Entwicklung und Herrschaft (München 1989) 433-435.
3https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/258497/liberaler-antipopulismus/
4https://socialistproject.ca/2024/12/ukraine-real-desire-to-sacrifice-oneself-for-the-state-is-very-weak/#more
5„Fascism is a genus of political ideology whose mythic core in its various permutations is a palingenetic form of populist ultranationalism.“ Rogar Griffin, The Nature of Facism (London 1993) 26.