Der ukrainische Botschafter in Wien, Vasyl Khymynets, hatte es raffiniert eingefädelt: Wenige Stunden vor dem „langen Wochenende“ übte er am Mittwoch, den 7. Juni Druck auf den Österreichischen Gewerkschaftsbund ÖGB aus, die Freigabe eines Saals für die am 10. und 11. Juni stattfindende Wiener Friedenskonferenz rückgängig zu machen. Und die ÖGB-Führung unter Wolfgang Katzian folgte offensichtlich seinen Wünschen.
International Summit for Peace in Ukraine
Worum handelt es sich? Beim „International Summit for Peace in Ukraine“ (Webseite „www.peacevienna.org“), für den somit ein neuer Veranstaltungsort gesucht werden musste (und gefunden wurde), sprechen eine lange Reihe renommierter Redner zu Fragen des Ukrainekriegs und zu Möglichkeiten einer Friedenslösung. Unter den vor Ort oder per Video zugeschalteten Personen befinden sich beispielsweise so unterschiedliche Leute wie der US-Professor Noam Chomsky, der renommierte US-Ökonom Jeffrey Sachs (der sich durch Kritik an Zelenskyj und durch Recherchen zur Corona Lab Leak Theorie Feinde gemacht hat), der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer, der Vize-Präsident von Bolivien David Choquehuanca, die US-Diplomatin Ann Wright, aber auch Friedensaktivisten aus der Ukraine und aus Russland.
Logisch, dass bei einer gewissen Meinungsvielfalt die Wächter des Schwarz-Weiß-Narrativs (Zelenskyj ist gut, alles Russische ist böse, NATO-Expansion ist gut) Unbehagen kriegen und der ukrainische Botschafter die Friedenskonferenz durch diesen geschickten Schachzug wenige Tage vor Konferenzbeginn zu kippen versuchte.
Im generell Zelenskyj-freundlichen „Standard“ wurde Mittwoch Abend kritisiert, dass bei der Konferenz gar der „weitere Kontext des russisch-ukrainischen Konflikts“ diskutiert werde. Und eine pensionierte Ex-Skiläuferin wird mit den Worten zitiert, dass der Summit „prorussische Propaganda“ sei.
Enteignung der Gewerkschaften
Dass Wolfgang Katzian als ÖGB-Chef offenbar dem Druck einer der beiden Kriegsparteien nachgab, ist bemerkenswert. In mehreren Telefonaten mit der ÖGB-Pressestelle war nicht exakt klärbar, ob es tatsächlich die ÖGB-Führung war, die eingeknickt ist, oder ob man „weiter oben“, also auf politischer Ebene (Stichwort SPÖ-Führung) den Wünschen der Kiewer Machthaber nachgeben wollte.
Der ÖGB nämlich sieht das nicht gerade demokratiefreundliche Regime von Zelenskyj eigentlich durchaus kritisch: „Ukraine: Regierung droht Gewerkschaft mit kompletter Entmachtung“ titelte die ÖGB-Webseite am 4. Oktober 2021. Dort heißt es weiter: „Die neoliberale Politik von Präsident Wolodymyr Selenski, der sich noch vor wenigen Wochen in Wien mit Bundespräsident Van der Bellen und Bundeskanzler Kurz traf, droht weitere Nachteile für die ArbeitnehmerInnen zu bringen.“ Kollektivverträge würden beispielsweise durch Einzelverträge ersetzt werden. Dies sei 150 Jahre alter Manchesterkapitalismus. ÖGB-Präsident Katzian wurde damals von einem ukrainischen Kollegen informiert, dass de facto auch eine Enteignung der ukrainischen Gewerkschaften drohe, was Katzian in jenem Artikel scharf kritisierte.
„Europäische Werte“
Gewerkschafter würden unter Zelenskyj gezielt eingeschüchtert und benachteiligt, berichtete die „taz“ am 12.12.2022 unter dem Titel „Arbeitsrecht im Schatten des Kriegs“. Im Kiewer Parlament, der Werchowna Rada, würde man reihenweise „skrupellose Gesetze verabschieden“, die z.B. Redefreiheit, Gewissensfreiheit und Versammlungsfreiheit einschränken.
„Die Ukraine verteidigt beeindruckend unsere Werte“, verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 20.2.2022, nachlesbar im gleichnamigen Artikel auf der EU-Webseite. Ich wollte die Pressesprecherin von Wolfgang Katzian eigentlich fragen, ob die ÖGB-Führung mit der plötzlichen Ausquartierung der Friedenskonferenz und der einseitigen Parteinahme für das Zelenskyj-Regime nicht eine Unterstützung von dessen demokratie- und gewerkschaftsfeindlichen Maßnahmen signalisiere. Leider waren die Gespräche mit zwei Vertretern der ÖGB Pressestelle diesbezüglich nicht erfolgreich, man wollte sich zu diesem Aspekt nicht äußern. Dass ÖGB-Chef Katzian nun die Wünsche eines (laut ÖGB-Webseite) „neoliberalen Gewerkschafts-Enteigners“ erfüllt, ist merkwürdig.
Anmerkung zum Foto
Die Meinungsvielfalt einer Friedenskonferenz wird die kämpfenden Parteien in keinem Krieg glücklich machen. Mit dem Foto will ich verdeutlichen, dass die schwarz-weiße Sichtweise des Ukrainekonflikts der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Rechtsextreme rot-schwarze UPA-Fahnen vor der Karlskirche am Jahrestag der russischen Invasion zeigen deutlich, dass Teile der ukrainischen Bevölkerung die NS-Kollaboration der Bandera-Fraktion OUN-B und die Massaker der UPA-Armee an rund 100.000 Polen nicht aufgearbeitet haben. Die OUN wurde 1929 in Wien von Andrij Melnyk gegründet und kooperierte mit der Waffen-SS. Erst wenn die Ukraine den extrem stark vorhandenen Nationalismus überwindet (beim Euromaidan-Putsch 2014 kam immerhin sogar eine rechtsextreme Partei in die Regierung), ist ein langer Weg zu einem Frieden zwischen den Volksgruppen vielleicht wieder denkbar. Wobei es, nach all den Kriegsverbrechen beider Seiten (ja, beider Seiten! siehe UNO-Berichte), Grund genug gibt, pessimistisch zu sein.
Dieser Artikel wurde vom Autor ursprünglich am 8. Juni auf der Webseite meinbezirk.at veröffentlicht, jedoch einen Tag später seitens der Redaktion entfernt. Bis dahin hatte der Text mehr als 700 Aufrufe.