Van der Bellen hatte große Ambitionen. Er wollte zur Leit- und Galions-Figur des neuen, des „linksliberalen“ Autoritarismus werden. Wir könnten dies ohne weiteres auch Bürokratischen oder Techno-Faschismus taufen. Diese Ambitionen hat er wahrscheinlich noch immer. Aber seine Gefolgsleute vom „Standard“ bis zu Fellners „oe24“ haben mittlerweile Bedenken. Sie dürften realisiert haben: Mit der Mumie in der Hofburg ist kein Staat mehr zu machen.
Dabei ist das Amt darauf hin angelegt. Gegen Ende der 1920 wurden die Christlich-Sozialen, die Vorläufer der heutigen ÖVP also, mit Seipel an der Spitze sowie die Heimwehren, die offenen Austrofaschisten dieser Zeit, immer dreister. Sie drohten offen mit Putsch. Sie versuchten auch, ziemlich ungeschickt, ihn in der Provinz vorzubereiten. Aber noch fühlten sie sich nicht stark genug. Also wandten sie sich an die Sozialdemokraten: Die „liberale Demokratie“ des Hans Kelsen passt uns nicht mehr. Wir wollen eine neue, eine autoritäre Verfassung. Wir wollen einen starken Bundespräsidenten. Die Sozialdemokratie machte Männchen. So kam es zur Verfassungsreform von 1929 mit ihrem starken Präsidenten. Der heutige Bundespräsident ist das Ergebnis einer Putsch-Drohung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, mit der Wiedererrichtung der Republik Österreich, hätte die Sozialdemokratie dieses Denkmal des Austrofaschismus wegräumen können. Sie tat es nicht. Sie setzte den diskreditierten Karl Renner dorthin. Danach kam eine ganze Reihe von SP-Präsidenten. Und keiner von ihnen dachte daran, dies zu ändern; auch nicht Heinz Fischer, der sich in jüngeren Jahren als Demokratie-Reformer aufspielte.
Vorerst nebenbei: Es war nicht der Bundespräsident, welcher gestärkt werden sollte. Es war die Bundesregierung. Der Präsident kann nichts ohne Vorschlag der Regierung machen – außer den Regierungsauftrag erteilen. Und damit sind wir mitten im Problem. Das aber heißt: Gezielter Abbau aller demokratischen Möglichkeiten. Das Schlagwort dafür ist: Liberale Demokratie.
Die Hauptrolle des Grüßaugusts in der Hofburg ist jedoch noch immer die ideologische. Das politische System in Österreich, ebenso wie in der EU, verträgt keine monokratische Figur. Die stünde der Bürokratie zu stark entgegen. Van der Bellen ist, wie vorher Klestil und Fischer, und noch mehr als sie, das eigentliche Symbol der Hegemonie-Apparate. Er vertritt das offiziell, was der ORF, der „Standard“ und Fellner etc. vorgeben.
Damit tauchen die beiden zentralen Stichworte auf.
Gramsci hat seinerzeit formuliert: Staat = Diktatur + Hegemonie.
„Diktatur“, die direkt eingesetzte Staatsgewalt, verkörpert sich in der Bürokratie. Die arbeitet mit zwei Zweigen: die Verwaltung und „das Recht“, die Gerichte. Realiter stehen beide über „der Politik“. „Wir werden ihn verhungern lassen“, hieß es seinerzeit unter Sektions-Chefs und Ministerialräten, wenn ein Minister es wagte, anders zu wollen als sie selbst. Es war kein Zufall, dass Herta Firnberg ihr Kabinett, ihr Sekretariat, seinerzeit zu einem wirklichen Parallel-Ministerium ausbaute, um den Widerstand der Bürokratie zu umgehen.
Dann gibt es die Gerichte, vor allem die Oberst-Gerichte. Sie haben den Mythos vom unabhängigen Gericht aufgebaut. Unabhängig von wem? „Das Recht geht vom Volk aus?“ Aber doch nicht bei uns in Bagdad!
Die EU hat sich beider Zweige dieser Diktatur bemächtigt. Die nationale Verwaltung nimmt ihre Anordnungen inzwischen weitgehend von Brüssel entgegen. Und EU-Recht steht über nationalem Recht. Der EuGH agiert völlig „unabhängig“ von jedem demokratischen Impuls. Und der „Hüter der Verträge“ steht eindeutig über jedem Vertrag.
Hegemonie ist die zweite Komponente der Staatsgewalt. Hier tauchen für die bürokratischen Eliten Probleme auf. Zwar: Der Staatsfunk ORF ist angelegt als „kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator“ (Lenin). Für die Feinarbeit sorgen Kurier, Standard und Fellner. In den letzten Tagen merkt man das überaus deutlich. Der ORF führt eine richtige und gar nicht so dezente Kampagne gegen die künftige Regierung, vor allem natürlich gegen die Kickl’sche FPÖ. Aber da haben Fellner und die Dichands gewisse Probleme. Sie müssen auf das Geschäft schauen. Ihre Leser dürften diese Kampagne mehrheitlich nicht schätzen.
Da kommt der paramount chief Van der Bellen wieder ins Spiel. Der will ja seit je die EU noch über den „Menschenrechten“ und dem „Weltrecht“ zum Fundament der liberalen Demokratie stilisieren. Recht hat er! Aber alle diese Fundamente bröckeln. Noch kann sich eine knappe Mehrheit der Österreicher nicht vorstellen, das Imperium EU zu verlassen. Doch so weit davon sind wir auch nicht weg. Es ist also, für die Eliten, an der Zeit, andere Saiten aufzuziehen.
Die Generalprobe des Autoritarismus war die Corona-Politik. Die hat aber nur so halb und halb funktioniert, schließlich war der Widerstand zu groß. Der – noch – Wirtschaftskrieg gegen Russland steht, zugleich mit der Ukraine, vor dem Zusammenbruch. Also müssen wir rein in die NATO, und die Neutralität muss weg. Das wird langsam eine Frage auf Leben und Sterben für die politische Klasse.
Herrschafts-Systeme werden immer dann besonders gefährlich, wenn sie sich vital bedroht sehen. Schauen wir nach Deutschland! Das autoritäre Vorgehen dort wird immer härter. Für Österreich ist es dann immer nur eine Zeitfrage.
Aber manchmal geht es anders aus. 1933 oder 1934 ist heute kein notwendiges Ende. Sogar in Südafrika gab es nach 1990 eine friedliche Transformation. Die Herrschenden dort hatten begriffen, dass es ihnen sonst womöglich noch schlechter ergehen könnten. Aber gesichert ist nichts. Die osteuropäische Wende 1990 ff. hat gezeigt: Wenn es gelingt, die Massen zu manipulieren, auch mittels Hilfe von Außen, können die Eliten auch eine ganz andere Transformation hinkriegen. Italien nach Draghi ist das Musterbeispiel. Den Dirigenten hat man gewechselt und eine neue Dirigentin hingesetzt – die Musik bleibt die gleiche.
Werden also Meloni und Kickl, Le Pen und Weidel, Trump und Musk zu den Rettern der europäischen Eliten?