Das persönliche Auftreten und die individuelle Kultur eines Menschen sind eine Sache. Seine gesellschaftliche und politische Stellung, seine politische Repräsentativität, sind eine andere Frage. Natürlich hängt beides zusammen. Aber man sollte doch fähig sein, die unterschiedlichen Aspekte in der Analyse zu unterscheiden.
Donald Trump war und ist die Verkörperung all dessen, was das Wort „amerikanisch“ zu einem Schimpfwort der europäischen Kulturkritik hat werden lassen. Ich gebe zu, dass ich in diesem Punkt damit übereinstimme. Unter den vielen unsympathischen Politikern ist er einer der (mir!) unsympathischsten. Er ist arrogant und aufgeblasen; ordinär bis zum Exzess; wahrscheinlich ziemlich hohlköpfig und unwissend; brutal und machtbesessen. Er ist die schlimmste Kombination der schlechtesten Oberschicht- und der schlimmsten Unterschicht-Eigenschaften.
Aber seien wir vorsichtig! Was das Wort „amerikanisch“ auch bedeutet, und was es für viele Menschen in Europa hat attraktiv werden lassen, obwohl gerade dies die Kulturkritiker so stört, ist: Es enthält eine andere Bewertung der Unterschicht-Kultur, als wir sie in Europa gewohnt sind. Nicht zuletzt repräsentiert wird dieser Aspekt durch die US-Popmusik, im weitesten Sinn verstanden. Deshalb sang Gianna Nannini von „America“ und wollten viele Europäer in den 1950ern, 1960ern und 1970ern, heute eher nicht mehr, „Amerikaner“ werden. Carlo Levi hat seinerzeit geschrieben: Die eigentliche Hauptstadt für die Süditaliener ist nicht Rom oder Neapel, die eigentliche Hauptstadt heißt New York.
Ronald Reagan war vor seiner Betätigung in der Spitzenpolitik, also bevor er 1967 zum Gouverneur von Kalifornien gewählt wurde, ein B-Movie-Schauspieler, in klarem Deutsch, ein zweit bis drittrangiger Filmmensch. Daneben betätigte er sich „gewerkschaftlich“ – man muss das Wort wirklich in Anführungszeichen setzen – als Vertreter seiner Berufs-Kollegen. Er kam also aus der unteren Mittelschicht. Danach entdeckten Elite-Angehörige seinen offenbar überwältigenden persönlichen Charme und begannen, diesen für ihre Zwecke einzusetzen. Die Straussianer hatten ihr Altarbild für die Massen gefunden.
Mit George W. Bush ging dieser Prozess ein Stück weiter. Der kam aus der superreichen Oberschicht. Aber er hatte offenbar genug Züge, welche auch die Unterschicht ansprachen. Seine erste Wahl haben er bzw. seine Leute sich zwar erschwindelt, in amerikanischer Manier. Man kann im Stil Trumps sagen: Sie haben sie „gestohlen“. Aber an seiner Mehrheit bei der zweiten Wahl ist nicht zu rütteln.
Mit Trump ist der Rüppel pur im Weißen Haus angelangt. Von Charme kann keine Rede mehr sein. Er benimmt sich eher wie und als Zuhälter. In seiner Attitüde spiegelt sich eine Unterschicht-Haltung, die es nicht nur in den USA gibt. Dort aber kann man dies eher so präsentieren, wie Trump dies tat; dort hat dies politische Legitimität.
Aber das Phänomen gibt es auch in Europa. Denken wir nur an Silvio Berlusconi. Aber so überaus erfolgreich ist diese Variante hier noch nicht. Sicher, Strache führte zu seinen besten Zeiten beinahe die stärkste Partei. Aber er ging gegenüber dem glatten Typ des Kurz unter. Auch Le Pen Père hat seine beste Zeit, die nicht besonders groß war, lang hinter sich. Beide waren persönlich Plebeier und nicht Angehörige der Oberschicht. Le Pens Tochter weiß sich eher zu benehmen.
Aber schauen wir nun lieber auf die Politik!
Trump hat seinen Standesgenossen Vorteile verschafft. Aber er war tendenziell Isolationist. Das entspricht tatsächlich eher einem Grund-Interesse der Unterschichten. Trump wollte die Einwanderung einschränken, ja überhaupt beenden. Damit hätte er den Lohndruck gemildert. Und seine kulturelle Primitivität und Rotzigkeit entsprach auch eher einer Unterschicht-Haltung, zugegeben nicht der sympathischsten. Aber er war weit von den Wahnsinnigkeiten akademischer Intellektueller entfernt, welche mit ihren Debatten häufig die strukturellen Probleme zudecken mit Scheinproblemen ihrer Mitbrüder und -schwestern. Das ist die rechts erfolgreiche und auf der liberalen Seite immer stärker erfolglose Variante der Identitäts-Politik.
Jüngst erschien ein höchst lesenswertes Buch, ich würde es allen empfehlen: David N. Gibbs (2024), Revolt of the Rich. Dort schreibt der Autor über Truman 1945 ff.: Truman wandte sich in seiner Besessenheit vom Antikommunismus nach Roosevelts Tod den konservativen Republikanern zu und schloss mit ihnen einen Grundsatzpakt. Er schlug ihnen vor, sie müssten seine globalistische Politik („globalist and Cold War agenda“) unterstützen und mit ihren isolationistischen Tendenzen brechen, und er würde ihnen mit einer konservativen Innenpolitik entgegen kommen.
Kann man besser beschreiben, was in der Zeit von Obama mit seiner Außenministerin Hillary Clinton passiert ist? Auch da hieß der Tausch: aggressive globalistische Außenpolitik der Demokraten gegen reaktionäre Innenpolitik für die Republikaner. Der Handel ging schließlich daneben. Trump kam. Aber Biden versuchte diese Politik nochmals. Das Ergebnis war, dass Trump tatsächlich eine Mehrheit erhielt. Die reaktionäre Innenpolitik wird bleiben und noch viel reaktionärer werden.
Außenpolitisch aber versucht Trump im gegenwärtigen Moment nicht einfach eine Wiederbelebung des Isolationismus. Er strebt offenbar eine Neuaufteilung der Welt an, diesmal mit China. Das, was in den letzten Tagen zu hören war, läuft auf eine neue Monroe-Doktrin hinaus. „America“ ist nicht mehr stark genug, die ganze Welt zu beherrschen. Das scheint dem Mr. Trump zu dämmern. Ich bezweifle, dass er das völlig bewusst weiß. Aber dafür sagt er: Amerika – jetzt ohne Anführungszeichen, weil tatsächlich ganz Amerika gemeint ist – gehört uns. Dazu gehört auch Kanada, und dazu gehört Grönland, und dazu gehört der Panama-Kanal. Da gibt es auch eine Ausbuchtung im Nahen Osten. Israel ist ja ohnehin kaum was Anderes als ein US-Bundesstaat. Wenn Trump nicht will, das hat er Netanjahu gezeigt, und das hat Biden so nicht getan, kann auch der nicht, wie er will. Also dieser Teil gehört auch ihm, und für die Palästinenser wird es genauso ungemütlich bleiben wie bisher.
Elon Musk hat sicher weiterreichende Ambitionen. Der will, wenn möglich, auch Westeuropa haben. Die Ukraine dürfte auch ihm egal sein, auf dieses Stück zerstörte Gegend kann er ganz gut verzichten.
Aber es ist noch unklar, wer sich durchsetzen wird. Ich tippe eher auf Trump.