Direkt zum Inhalt

Großbritannien - wessen Sieg?

Labour stagniert trotz Zusammenbruch der Tories

Bild: taz, 6. Juli 2024: Das Zentralorgan der aggressivsten deutschen Regierungspartei jubelt

Auf der Ebene der Wähler, des Volks, sind die britischen Wahlen so ganz anders ausgegangen, als es die Wahl-Umfragen besagten. Und wie es die EU-Eliten und ihre Journalisten wünschten. Aber auf der Ebene der Institutionen kam es doch weitgehend so, wie sie es erhofften. Auf diesen feinen Unterschied kommen wir gleich zu sprechen.

Man hört direkt den Stein, welcher den Eliten und ihren Journalisten vom Herzen fiel: Endlich wieder eine gute Nachricht! Und man ernennt den reaktionären Starmer taxfrei zum „Roten“. Der Witz dabei ist nur: Es stimmt nur, wenn man die Hälfte der Wirklichkeit ausblendet. Denn:

Starmer-Labour hat die Wahl auf der Ebene des Volks nicht wirklich gewonnen. Die Partei hat, trotz der enormen Unzufriedenheit mit der Regierung, nur 1 ½ Punkte zugelegt und steht jetzt bei 34,1 % (einschließlich eines kleinen Satteliten), nicht bei 42 % oder gar 44 %, wie es die Pollster verspra­chen. 2019 waren es 32,6 % gewesen. Aber die Konservativen als Partei haben diese Wahlen krachend verloren – aber wieder nicht ganz so krachend, wie vorausgesagt (23,7 % gegen 43,6 % 2019). Das institutionelle Ergebnis lautet somit: 411 Abgeordnete gegen 121 für die Konservativen.

Das britische Wahlrecht stammt aus der frühen Moderne. Es ist dazu angelegt, die Postenverteilung unter damals zwei diffusen Strömungen der Eliten zu bewerkstelligen. Als die Regierung 1832 parlamentarisiert wurde – das heißt keineswegs demokratisiert! – , blieben die Herrschaften dabei. Es gab ja nur ziemlich wenig Wähler, die sich meistens persönlich kannten, und was man wollte, war Eindeutigkeit. Es sollte keine Streitereien geben, wer diesmal an die Tröge durfte. Das nächste Mal waren sowieso die Anderen wieder dran.

Prinzipiell hat jedes parlamentarische System diesen Zug. Auf der konservativen Insel ist er aber besonders ausgeprägt. Alle Politiker kommen aus derselben Oberschicht-Kultur. Es kommt nicht darauf an, wer an den Trögen sitzt. Aber es sollte damals möglichst wenig Konflikt geben, da dieser destabilisierend wirken könnte. Erst in neuerer Zeit haben die Herrschaften begonnen, diesen Zug manipulativ einzusetzen, um möglichst neue Konkurrenz zu vermeiden (BRD mit ihren 5 %-Hürden; Griechenland und Italien mit den Mehrheits-Prämien; …).

Im Hintergrund spielt sich bei diesen Wahlen doch Einiges ab. Man muss jedoch mühsam danach suchen. Faulheit und Geistesträgheit bei einem Großteil der Journalisten spielt da mit. Vor allem aber ist es der Wunsch, das hiesige Publikum nicht mit unerwünschten Fakten zu versorgen und zu beunruhigen.

Sehen wir uns ein paar Details an!

Die regionalen Unterschiede fallen vor allem auf, wenn man nach Schottland sieht. Die SNP und ihre Sprecher, bzw. die längste Zeit: Sprecherin (Sturgeon), haben schwer verloren. Die Mandats­verteilung überzeichnet das Bild stark, wie immer auf der Insel. Aber der Absturz von 48 auf acht Abgeordnete hat es trotzdem in sich. Die Selbstherrlichkeit dieser Partei und ihrer Chefin hat ihre Antwort gefunden. 

Die Linke interessiert uns natürlich am meisten. 

Corbyn hat seinen Wahlkreis wieder gewonnen und den offiziellen Labour-Kandidaten raus geworfen. Auch vier andere Kandidaten, die sich gegen die Palästina-Politik Labours richteten, haben Sitze gewonnen. Verloren, wenn auch eher knapp, hat George Galloway, der erst vor wenigen Monaten den offiziellen Labour-Kandidaten besiegte. Verloren hat auch Andrew Feinstein, der gegen Starmer direkt angetreten ist. Der allerdings, in einem bombensicheren Wahlkreis, wo er vor fünf Jahren noch 65 % erhielt, rutschte um fast 19 Punkte ab und erhielt diesmal nur 48,9 % gegen 19 % für Feinstein. Er hat somit ganz persönlich schwer abgebaut. Das war einem Journalisten des Evening Standard so unangenehm, dass er bei den Ergebnissen des Wahlkreises Feinstein nicht nannte, wohl aber die anderen, die weniger Stimmen als dieser bekam …

Auf der Rechten wird es auch interessant. Farage hat 14,3 % der Stimmen erhalten, aber nur vier Mandate. Beide reaktionäre Parteien zusammen haben deutlich mehr Unterstützung als Labour. Es ist ganz offensichtlich das Ziel Farages, die Konservativen zu übernehmen und zu einer rechtspopulistischen Partei zu machen. Ob das gelingen kann, ist eine Frage. Denn wenn Farage die Partei wirklich übernimmt – was sehr wohl denkbar ist – , wird ein Teil davon wegbrechen. Schon jetzt haben auch die Liberalen ein klein wenig vom konservativen Desaster profitiert. 

Mit einem Wort: Die politische Krise in Großbritannien geht weiter. Sie wird sich mittelfristig eher verschärfen. Diesmal hat es die Konservativen getroffen, weil sie die Regierung stellten. Labour wird bald das zu spüren bekommen, was sich bisher gegen die Konservativen richtete. Die Konservativen haben den Brexit weitgehend vermurkst. Labour wird versuchen, diskret den Weg nach rückwärts einzuschlagen. Damit ist aber ihr Abstieg sicher. Die letzten Wahlen, 2019, hat Labour zwar nicht in der Art verloren, welche uns die Lügenpresse Tag für Tag einreden will. Die Partei hat 2019 deswegen nicht gewonnen, weil der EU-Kurs zu zwielichtig war, zu sehr „pro-Europa“. Insbesondere die Arbeiter hatten dies begriffen. Sie stimmten daher in nicht geringem Maß für die Konservativen. Mit der Starmer-Partei an der Regierung kommt das Thema unweigerlich wieder hoch. Und das ist nur einer der Knackpunkte, vor dem jede sozialdemokratische Partei in Europa steht.