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Offener Brief zum Staatsschutz- und Nachrichtendienstgesetz

Stellungnahme (und gleichzeitig offener Brief)
zum derzeit zur Begutachtung aufliegenden Ministerialentwurf eines Bundesgesetzes,
mit dem das Staatsschutz- und Nachrichtendienstgesetz (SNG) geändert werden soll
(350/ME XXVII.GP)

Sehr geehrte Damen und Herren!

Der Entwurf ist in seiner gegenwärtigen Form abzulehnen.

 

Begründung:

Mit der vorgeschlagenen Novellierung werden von der Legislative massive Eingriffe in die Grundrechte der Österreicherinnen und Österreicher vorgenommen, die - selbst wenn sie gut gemeint sind - in der Zukunft von korrupten Elementen innerhalb der Judikative und Exekutive missbraucht werden können, ohne dass dagegen im Ministerialentwurf auch nur ansatzweise ausreichende Gegenmaßnahmen dargelegt werden.

 

Die Einsichtnahme in "Kommunikationsinhaltsdaten" von verschlüsselten Inhalten (zB WhatsApp, Skype, SIGNAL) soll zwar laut Entwurf nur in "schwerwiegenden Einzelfällen nach richterlicher Bewilligung und unter begleitender wie nachprüfender Kontrolle anlassbezogen zur effektiven Bekämpfung von verfassungsschutzrelevanten Bedrohungslagen" angewendet werden (Zitat aus der St. der Richtervereinigung). Dem ist jedoch entgegen zu halten:

 

Erstens: 

Wie in der Stellungnahme des C3W (Chaos Computer Club Wien) fachkompetent und ausführlich dargelegt wird, bedeutet die Schaffung von Backdoors für eine remote-Einbringung von (in diesem Fall staatlicher bzw. nachrichtendienstlicher) Überwachungssoftware ein Gefahrenpotenzial, weil diese Lücke auch von Hackern, von Nachrichtendiensten fremder Staaten und auch von militärischen Diensten fremder Staaten genutzt werden würde. Es ist schlichtweg unmöglich, ein Backdoor zu schaffen, das NUR für die eigene DSN zugänglich ist (vgl. auch die technischen Ausführungen der ÖRAK). Der Ministerialentwurf schafft mit dem Gesetzensvorschlag gewissermaßen die Infrastruktur für zwischenstaatliche Cyberspionage und letztlich Cyberkrieg.

 

Zweitens: 

Sobald bekannt ist, dass nicht nur zB US-Dienste, BND oder die Unit 8200 Israels bei der innerösterreichischen Kommunikation mit WhatsApp, Signal, etc. mitlesen können, sondern auch die DSN, würden in noch größerem Ausmaß die wirklich gefährlichen Terroristengruppen auf alternative Kommunikationswege ausweichen. 

 

Hingegen wäre zu erwarten, dass vertrauliche Kommunikation beispielsweise von Rechtsanwälten, von (regierungskritischen und/oder investigativen) Journalisten und von (regierungskritischen) politisch aktiven Gruppen früher oder später missbräuchlich "versehentlich" oder (unter irgendeinem Vorwand) absichtlich abgegriffen und mitgelesen werden - spätestens dann, wenn Österreich wieder eine nur mehr "semi-demokratische" Regierung bekommt. Und ich denke da gar nicht an EINE bestimmte Partei, sondern an alle. Ich vertraue keiner mehr, zumal es überall schwarze Schafe gibt. Umso mehr, je höher "oben".

 

Wir können in Österreich seit Jahren eine Aushöhlung der Grundrechte und eine Aushöhlung der Verfassung bzw. von Gesetzen im Verfassungsrang beobachten. Dies im Detail auszuführen, würde den Rahmen dieser Stellungnahme sprengen, jedoch sollten diese Vorgänge dem BMI, den Abgeordneten im Nationalrat und den mit dem Entwurf befassten Juristen bekannt sein.

 

Insbesondere ein bestimmtes Gerichtsverfahren hat mir ganz deutlich im Detail gezeigt, dass die Regelmechanismen in Exekutive und Legislative meines Erachtens nur unzureichend funktionieren und von "Problempersonen" bereits jetzt missbraucht werden können. 

 

Als Wissenschaftsautor, der seit Jahren investigative Recherchen betreibt, sehe ich den gewaltigen Druck der Politik auf die Medienwelt - in wenigen Wochen beginnt, wie wir alle wissen, der Prozess einer unbeugsamen investigativen Redakteurin gegen den ORF, weil sie sich dem Druck nicht beugen wollte. Wenn nun die DSN, die (unter verschiedenen Namen, von STAPO über BVT) immer schon mit politischen Netzwerken verknüpft war und dies wohl auch künftig sein wird, das ungeheuer mächtige "Tool" erhält, auf verschlüsselte Kommunikationsinhalte zuzugreifen, offiziell nur von Terroristen und Staatsgefährdern, real und technisch de facto auf die Kommunikationsinhalte der gesamten österreichischen Bevölkerung, so bedeutet dies ein Bedrohungsbild für jeglichen unabhängigen Journalismus, für Anwälte, usw..

 

Nicht zuletzt wird im Entwurf extrem schwammig definiert, wie der Zugriff auf die Inhalte erfolgen soll (Backdoor und remote mittels Trojaner, oder aber Manipulation der Handysoftware durch direkte Manipulation am Handy, was bei "echten" Terroristen meist nur schwer machbar sein wird).

 

Abschließend sei gewarnt:

Die professionellen, international tätigen Terrorgruppen sind im Räuber-Beute-Wettlauf des Cyberkriegs meist einen Schritt schneller als die kleineren Dienste. Hingegen öffnet der Gesetzesentwurf ein großes Tor in Richtung Komplettüberwachung von Anwälten, Journalisten und (regierungskritischen) politisch aktiven Gruppen. Ich befürchte, dass der Rechtsstaat mit all seinen Grundrechten und seiner Verfassung in kommenden Jahren noch stärker ausgehöhlt wird, wenn es möglicherweise noch stärker zu einem Demokratieabbau und zu prä-faschistoiden Gesellschaftsmodellen kommt. Wir sollten diesen künftigen Regierungen nicht jetzt schon die Werkzeuge zur Totalüberwachung Andersdenkender auf den Tisch legen.

 

Hochachtungsvoll,

Dr. Gerhard Hertenberger